Rositta Krämer Die Welt steht Kopf
Die religiöse Lust zu Mord und Totschlag wird mir ein ewiges Rätsel bleiben. Töten um ins Paradies zu gelangen, in ein Leben danach, ohne zu wissen, ob es das überhaupt gibt? Muslime, Christen, Juden, Buddhisten, Hindi und wer weiß noch wer: Können wir nicht unseren jeweiligen Glauben für den Erhalt unserer irdischen Welt einsetzen? Für eine bessere Welt? Hier und jetzt?
Auch rassistisch motivierte Morde werden mir immer ein Rätsel bleiben. Was bringt z.B. einen jungen Mann dazu, sich gegen Juden und Muslime zu radikalisieren und sie zu töten, wie gerade in Halle geschehen? Er ist 27 Jahre alt und wird jetzt wohl die meiste Zeit seines Lebens hinter Gittern verbringen müssen. Was hat er davon?
Leben wir in einer Gesellschaft, die den Hass auf Andersdenkende und Andersgläubige fördert? Was ist geschehen, seit dem Ende Nazideutschlands? Ist die Entnazifizierung misslungen? Auf jeden Fall sind die Nazis immer noch da. Sie waren nie weg. Ihr Gedankengut wurde und wird gepflegt und an junge Menschen weiter gegeben. Junge Leute radikalisieren sich nicht einfach so. Sie werden geködert von skrupellosen, verantwortungslosen Gesellen, indem diese ihnen die Last, bestehend aus Menschenverachtung, aufbürden. Denn es ist eine Last, hassen zu müssen, damit das eigene Leben Bedeutung gewinnt. Wie traurig ist das denn? So traurig wie das Töten, um ins Paradies zu kommen, was übrigens auch überwiegend junge Leute tun.
Ich sitze an meinem Schreibtisch und trauere um die Ermordeten in Halle, stellvertretend für alle, deren Leben in den Augen Anderer nichts gilt. Ich trauere auch um eine irregeleitete Jugend. Wie viel Potenzial an Menschlichkeit, wie viel Begabung, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, geht verloren, wenn junge Menschen zu Mördern werden? Es ist zum Heulen. Und schämen sollen sich alle, die rechtes Denken von damals gut heißen oder verharmlosen.